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Durch die Brille der Inventare

Zur Dokumentation der Teilhabe von Frauen am baukulturellen Erbe

Wie sichtbar sind Frauen in den Inventaren der Bau- und Gartendenkmalpflege in der Schweiz? Eine nationale Erhebung der Universität Bern legt erstmals den Fokus auf die Dokumentation von Frauen als Akteurinnen im baukulturellen Erbe. Denn es gilt: Ohne Dokumentation keine Sichtbarkeit, ohne Sichtbarkeit kein Schutz.

 

Wie steht es um die Teilhabe von Frauen am baukulturellen Erbe der Schweiz? Was wissen wir über ihre Beteiligung an historischen Bauwerken, Gärten und Parks? Und inwiefern wurde ihre (Co-)Autorinnenschaft an Objekten, die heute als Garten- und Baudenkmäler definiert sind, überhaupt dokumentiert? Eine erste nationale Erhebung der Universität Bern befragte in diesem Jahr kantonale und kommunale Denkmalpflege- sowie Gartendenkmalpflege-Fachstellen zur Präsenz von Frauen in ihren Inventaren. In unserem Beitrag zur Tagung «A future for whose past?» präsentierten wir einen Ausschnitt aus der Auswertung sowie eine erste Interpretation der Ergebnisse.

 

Die Geschwister Magdalena und Salome Mani gaben das stattliche Bauernhaus Argel 161 in Därstetten, Kanton Bern, Mitte des 18. Jahrhunderts in Auftrag. 2015 untersuchte die Denkmalpflege des Kantons Bern die Bauinschriften von Bauernhäusern und stiess auf historische Bauherinnen.1 © Willy Vogelsang, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0

Der Fragebogen für die Online-Erhebung wurde an die 26 kantonalen und 9 kommunalen Denkmalpflege- sowie 7 Gartendenkmalpflege-Fachstellen versandt. Der Rücklauf betrug 60 Prozent bei den Denkmalpflegestellen und 30 Prozent bei den Gartendenkmalpflegestellen. Der Fragebogen umfasste Items zum Objektbestand im Inventar, zum Inventarisationsprozess und zur Gesetzgebung. Abgefragt wurde die Anzahl von Gebäuden und Gartenanlagen, die von Frauen gebaut oder in Auftrag gegeben wurden. Zudem wurden die Fachstellen gebeten, die Objekte in einer separaten Tabelle aufzuführen, in der die Beteiligung von Frauen in der Rolle als Architektin oder Bauherrin im Inventar als solche ausgewiesen ist. Erhoben wurde ausserdem, ob Gebäude und Gartenanlagen bekannt sind, bei denen die Beteiligung von Frauen bei der Begründung für die Aufnahme in das Inventar eine Rolle gespielt hat. Ebenso wurde abgefragt, ob das massgebende Bau- und Planungsgesetz (theoretisch oder explizit) die Voraussetzungen bietet, um die Beteiligung von Frauen bei einem Gebäude oder einer Gartenanlage als Begründung für die Aufnahme in das Inventar anzuführen. Um die Ergebnisse zu vertiefen und zu kontextualisieren, führten wir anschliessend qualitative Interviews mit ausgewählten Inventarisationsteams.

 

Frauen auch als Auftraggeberinnen

Die Antworten der Fachstellen variierten stark hinsichtlich der Tiefe und des Detaillierungsgrades der Angaben, der Erklärungen zum Stand des Inventars, des eigenen Vorgehens und der Beurteilung der Validität und Aussagekraft der Angaben. Es ist anzunehmen, dass die Bereitschaft und die Möglichkeit, an der Erhebung teilzunehmen, von den personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen in den einzelnen Fachstellen abhängig war und davon, inwiefern das Thema als relevant erachtet wurde.

Vorgängig formulierten wir auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes die Hypothese, dass es in der Schweiz wahrscheinlich keine Bauten und Gärten aus der Zeit vor 1920 gibt, die Frauen entworfen haben. Die Erhebung fokussierte daher nicht nur auf Frauen in der Rolle der (Landschafts-)Architektinnen, sondern auch in derjenigen der Auftraggeberinnen. Durch dieses erweiterte Verständnis von Beteiligung an der gebauten Umwelt konnte eine deutlich grössere Anzahl von Frauen identifiziert werden, die an Bau- oder Gartenprojekten massgeblich beteiligt gewesen waren. Allerdings konnten dank den Umfrageresultaten auch Frauen in der Rolle der Gestalterin von Bauten vor 1900 identifiziert werden. Dennoch, Frauen überhaupt in den Inventaren zu finden, stellte eine Herausforderung dar. In den Datenbanken wird das Geschlecht der Baubeteiligten in der Regel nicht erfasst, und der Default ist männlich. Vornamen wurden abgekürzt, Frauen unter «Familie» oder «Ehepaar» subsummiert, oder Frauen waren als nicht namentlich genannter Teil einer Bürogemeinschaft oder als Mitarbeiterinnen in einer solchen tätig. Dafür wurde aber auch bei neuen, unerwarteten Objekten weibliche Beteiligung sichtbar, so zum Beispiel als Auftraggeberinnen von Wappenreliefs und Grenzsteinen.

 

Die Architektin Flora Steiger-Crawford baute zusammen mit ihrem Ehemann Rudolf Steiger 1924 das Haus Sandreuter in Riehen, nachdem sie 1923 als erste Frau in der Schweiz ein Architekturstudium abgeschlossen hatte. © Elia Schneider

 

Aussagekräftig trotz Einschränkungen

Inventare bilden eine Selektion auf der Basis von sich verändernden Fachkriterien, die im besten Fall einen repräsentativen Querschnitt durch das bauliche Erbe eines Kantons darstellen und den jeweils zeitgenössischen (architektur-)historischen Diskurs und Kenntnisstand abbilden. Aufgrund der divergenten Bearbeitungstiefen der Umfrage, der Heterogenität der Inventare und der verschiedenen Gesetzgebungen im föderalen System der Schweiz handelt es sich bei dieser Erhebung um eine erste Stichprobe zur Präsenz von Frauen in den Schweizer Inventaren. Der Fokus auf Frauen geht jedoch auch mit neuen Einschränkungen einher: Mit der Verwendung des binären Konzepts Frauen-Männer wird die Geschlechtervielfalt innerhalb der Gruppe(n) nicht abgebildet und intersektionale Perspektiven, beispielsweise Kategorien wie «Race» oder «Klasse», können erst in der interpretativen Analyse Berücksichtigung finden. Gleichzeitig sind die Daten aber insofern aussagekräftig, als dass sie den Stand der Dokumentation und die aktuellen Herausforderungen der Auffindbarkeit von Frauen (als einen Zugang zur Geschlechtervielfalt) in Inventaren spiegeln.

 

Frauen als minorisierte Gruppe im nationalen Kulturerbe

Festzuhalten ist, dass sich die aus der Erhebung gezogenen Erkenntnisse auf den Stand der Inventare und nicht auf die historische Realität beziehen; sie bilden das Wissen und den Forschungsstand hinsichtlich der als schützen- und erhaltenswert eingestuften Bau- und Gartendenkmäler ab, nicht den gesamten Baubestand in seiner historischen Komplexität.

Fakt ist, dass kein Inventar eine Beteiligung von Frauen von mehr als zwei Prozent bei den Bau- und Gartendenkmälern aufwies oder ihre Beteiligung so dokumentiert war, dass sie leicht auffindbar gewesen wäre. Obwohl Frauen die Hälfte der Weltbevölkerung ausmach(t)en, müssen sie in Bezug auf ihre Sichtbarkeit in Bau- und Gartendenkmalinventaren als «minorisierte Gruppe» klassifiziert werden. Das heisst, selbst für eine Personenkategorie wie «Frauen» ist die demokratische Teilhabe, im Sinne einer angemessenen Präsenz im nationalen Kulturerbe, aktuell nicht gewährleistet. Es gibt diesbezüglich also Handlungsbedarf. Die Revision oder Neuerstellung von Inventaren eröffnet daher wichtige Handlungsmomente, um den erfassten Bestand, aber auch die Würdigungen zu aktualisieren, dies im Austausch mit der universitären Forschung, die ebenfalls im Begriff ist, ihren Erkenntnisstand zu Frauen in der (Landschafts-)Architektur laufend zu erweitern und neu zu denken.

1Karin Bolliger, Katrin Kaufmann, Andrea Zellweger, Fabian Schwarz, Bauen als Gemeinschaftswerk, in: Fachwerk – Das Magazin der Denkmalpflege des Kantons Bern, Bern 2015, S. 42–45.