Vergangenheit sichtbar machen und Wege für die Zukunft bereiten
Die sinnbildliche Rolle der Europäischen Tage des Denkmals
Von Itana Prljevic, European Heritage Days, Europarat
Bulletin 3/2024 – Dans toute l’Europe, 02. septembre 2024In Frankreich vor vierzig Jahren initiiert, sind die Denkmaltage seit 1991 eine europaweite Veranstaltung. Millionen Menschen folgen der Einladung, das reichhaltige Kulturerbe zu erkunden. So tragen die Europäischen Tage des Denkmals zur Förderung der Demokratie, der Menschenrechte und der kulturellen Vielfalt bei.

Plakat für die ersten Denkmaltage in Frankreich im Jahr 1984. © Ministère de la Culture français
Einmal im Jahr werden die geschichtsträchtigen Stätten Europas zum Schauplatz eines ganz besonderen Anlasses, bei dem Millionen Menschen eingeladen sind, das gemeinsame kulturelle Erbe zu feiern. Bei diesem Anlass handelt es sich um die European Heritage Days, die Europäischen Tage des Denkmals, ein europäisches Projekt mit dem Ziel, das vielgestaltige historische und kulturelle Mosaik Europas zu präsentieren.
Die Auseinandersetzung mit dieser grossartigen Tradition ermöglicht den Menschen, eine neue Verbindung zur Vergangenheit herzustellen, und stärkt gleichzeitig die Werte, für die der Europarat steht: Demokratie, Menschenrechte und kulturelle Vielfalt. Die Europäischen Tage des Denkmals sind ein wichtiges Instrument, um das lokale Kulturerbe und besonders jene Denkmäler und Kulturzeugnisse, die üblicherweise nicht öffentlich zugänglich sind, sichtbar zu machen.
Die Anfänge und die Entwicklung
Der Grundstein für die Europäischen Tage des Denkmals wurde 1984 gelegt, als das französische Kulturministerium unter dem Titel «La journée portes ouvertes dans les monuments historiques» die Tage des offenen Denkmals in Frankreich initiierte, ein Anlass, der später unter dem Namen «Open Doors Days» Verbreitung fand. Der damalige französische Kulturminister erkannte, dass der Anlass grosses Potenzial für die Förderung einer breiteren kulturellen Verbundenheit hatte, und brachte 1985 an einer Ministerkonferenz des Europarates die Idee für eine europaweite Veranstaltung ein. Der Europarat nahm den Vorschlag auf und bekräftigte 1991 mit der Lancierung der European Heritage Days sein Engagement, Kultur und Geschichte allen Menschen zugänglich zu machen. Ab 1999 wurde das Programm auch von der Europäischen Union unterstützt, und die Vielfalt, die Reichweite und der Umfang der Aktivitäten nahmen zu. Die Zusammenarbeit mit der EU hat zur erfolgreichen Weiterführung der jährlichen Denkmaltage beigetragen, die inzwischen in zahlreichen europäischen Ländern stattfinden.

Treffen der Länderkoordinatorinnen und -koordinatoren der Europäischen Tage des Denkmals im März 2024 in Strassburg, Frankreich. © European Heritage Days
Neue, zeitgemässe Angebote ergänzen heute das Programm. So richtet sich etwa der Wettbewerb «Young European Heritage Makers» an junge Menschen und ermutigt sie, das lokale Kulturerbe zu entdecken und zu interpretieren. Das Programm soll einerseits zum Lernen durch Erkunden anregen und andererseits eine tiefere persönliche Verbindung zur eigenen lokalen und nationalen Identität fördern. Ein weiteres Programm, der «Call for European Heritage Days Stories», ruft Gemeinschaften auf, Erfahrungsberichte über ihr kulturelles Erbe und dessen Erhalt einzureichen, und vergibt Beiträge für die Entwicklung von entsprechenden Projekten. Das Ziel ist, mithilfe dieser Projekte die Vielfalt der kulturellen Narrative in Europa aufzuzeigen und das kollektive Bewusstsein und Verständnis für das europäische Kulturerbe zu stärken. Mit dynamischen Aktivitäten wie diesen entwickeln sich die Europäischen Tage des Denkmals stetig weiter und passen sich den Bedürfnissen an, um das europäische Kulturerbe auf noch vielfältigere und inklusivere Art zu feiern.
Der Europarat und seine zentralen Werte
Mit den Europäischen Tagen des Denkmals will der Europarat die Grundsätze stärken, auf denen seine Mission basiert. Die Denkmaltage fördern die Transparenz, den Zugang für alle und die Inklusion, indem sie Türen öffnen – zu Baudenkmälern, Museen und anderen Kulturorten wie Theatern, Archiven und Kunstgalerien, die üblicherweise nicht öffentlich zugänglich sind. Zur bunten Angebotspalette gehören auch Live-Darbietungen, Workshops und Führungen. Diese Anlässe sind Foren für Dialog und Austausch. Damit spiegeln sie das Engagement des Europarates für Menschenrechte und demokratische Werte wider und fördern ein tieferes Verständnis zwischen den vielfältigen Kulturen Europas.

Europäische Tage des Denkmals 2023 in El Forn de Canillo, Andorra. © Patrimoni Cultural d’Andorra
Die Grundsätze der Europäischen Tage des Denkmals und der Schweizer Ansatz im Umgang mit dem Kulturerbe haben viel gemeinsam: Die Initiative der Zivilgesellschaft und der Gemeinschaften stehen jeweils im Mittelpunkt. Kulturerbe wird also nicht als etwas Elitäres, sondern als gemeinsames Erbe aller betrachtet. Die Bedeutung des Kulturerbes liegt nicht in seinem materiellen Wert, sondern in den Bedeutungen und in den Werten, die die Menschen damit verbinden. Diese Haltung steht im Einklang mit der Faro-Konvention, die betont, dass Objekte und Orte nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen der ihnen zugeschriebenen Bedeutungen, Nutzungen und Werte bedeutsam sind. Auch andere Konventionen wie jene von Nikosia, Valletta und Granada sowie das Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes stärken und fördern Strategien für die Erhaltung und Aufwertung von Europas kulturellem Erbe und unterstreichen einen ganzheitlichen Ansatz im Kulturgüterschutz.
Jahresthemen für die Denkmaltage
Die Europäischen Tage des Denkmals sind jedes Jahr einem Thema gewidmet, das sowohl die Prioritäten der Europäischen Union und des Europarates als auch die Interessen und Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften widerspiegelt. Dieser thematische Ansatz stellt sicher, dass die Denkmaltage relevant und interessant bleiben und aktuelle Herausforderungen sowie verschiedene Aspekte des Kulturerbes aufgreifen.

Die Teilnehmerinnen eines Workshops während der Europäischen Tage des Denkmals 2009 in Zagreb, Kroatien, lernen die Grundlagen der Goldstickerei. © Lucija Franić Novak
In der Vergangenheit standen unter anderem die folgenden Themen auf dem Programm: Inklusivität – Kulturerbe soll allen Menschen zugänglich sein, unabhängig von ihrem Hintergrund und ihren Fähigkeiten; Nachhaltigkeit – Denkmäler nachhaltig bewirtschaften und erhalten; lebendiges Kulturerbe – Traditionen und Praktiken, die bis heute gepflegt werden, als integrale Bestandteile des kulturellen Erbes.
Künftige Themen werden sich mit den folgenden Bereichen beschäftigen: Architektur – Würdigung des architektonischen Erbes und dessen Einfluss auf die gebaute Umwelt; Kulturerbe in Gefahr – Stärkung des Bewusstseins für gefährdete Denkmäler und die Anstrengungen, die für deren Schutz nötig sind; Verborgenes Kulturerbe – Aufzeigen von weniger bekannten und unbeachteten Aspekten des kulturellen Erbes; Modernes Kulturerbe – Anerkennung der kulturellen Bedeutung von jüngeren Kulturgütern wie Denkmäler und Praktiken aus dem 20. und 21. Jahrhundert.
Die Themen umfassen nicht nur materielles, sondern auch immaterielles Kulturerbe und würdigen die Geschichten, Traditionen und Bräuche, die unsere kulturelle Landschaft bereichern.
Die Organisation
Die Europäischen Tage des Denkmals werden von den beteiligten Ländern finanziert, von Länderkoordinatorinnen und -koordinatoren organisiert und auf lokaler Ebene von Zehntausenden Freiwilligen in die Tat umgesetzt. Das gemeinsame Programm bietet eine tragfähige Plattform für den Austausch von Ideen und Praktiken zwischen Behörden, Fachleuten und interessierten Laien und ermöglicht so lebendige und vielfältige Veranstaltungen in ganz Europa. Ein kleines Team im Sekretariat des Europarates in Strassburg unterstützt das Netzwerk der Länderkoordinatorinnen und -koordinatoren bei der Ausarbeitung der Jahresthemen und bietet methodische Hilfe in Form von Broschüren und Tools. Das Team verwaltet auch die Wettbewerbe und Förderbeiträge, betreibt die Website und verbessert die Sichtbarkeit der Europäischen Tage des Denkmals in den sozialen Medien und mittels Promotionsmaterial.

Diskussionen, Workshops und Seminare anlässlich der Europäischen Tage des Denkmals 2023 in Žagarė, Litauen. © European Heritage Days
Das Thema 2024: Wege, Netzwerke und Verbindungen
Die diesjährigen Denkmaltage sind dem Thema «Heritage of Routes, Networks and Connections» – Wege, Netzwerke und Verbindungen – gewidmet. Sie laden dazu ein, die unzähligen Belege für die dauerhaften Verbindungen zwischen Menschen, Gemeinschaften, Ländern und Kulturen in unserem materiellen und immateriellen Erbe zu entdecken. Im Zentrum des Themas stehen die Wertschätzung unserer gemeinsamen Praktiken und Werte sowie unsere gegenseitige Verbundenheit im gemeinsamen Bedürfnis, die Erzählungen und Orte, die unsere individuelle und kollektive Geschichte formen, zu schützen und miteinander zu teilen.
Das kulturelle Erbe umfasst sowohl lokale Identitäten und Kontinuitäten als auch die Einflüsse, Ideen und Völker, die es durch Wanderungsbewegungen innerhalb und ausserhalb Europas geformt haben. Die Bauwerke in unseren Städten und Dörfern sind nicht nur Ausdruck lokaler Baustile, ihre Form und Funktion spiegeln auch weiträumigere Einflüsse wider.
Das Jahresthema legt den Schwerpunkt darauf, wie das kulturelle Erbe durch physische und virtuelle Menschen-, Waren- und Ideenströme bereichert wird. Damit ermutigt es Fachleute und Veranstaltende, die komplexen Verbindungen zwischen unseren Vergangenheiten und Kulturen zu erkunden und aufzuzeigen. Durch das Öffnen von Denkmaltüren tragen die Europäischen Tage des Denkmals zur Entstehung neuer Wege und Verknüpfungen in unseren Gemeinschaften bei und fördern so neue Verbindungen und Beziehungen.
Die Europäischen Tage des Denkmals in der Schweiz
Die Schweiz mit ihrem reichen Mosaik an Brauchtümern, Sprachen und historischen Stätten spielt eine wichtige Rolle für die Europäischen Tage des Denkmals. Der grosse Einsatz der Schweiz äussert sich in engagierten Beiträgen, die sich nicht auf das Schweizer Kulturerbe beschränken, sondern auch dessen Bedeutung für das weiter gefasste europäische Narrativ hervorheben.
An den Europäischen Tagen des Denkmals in der Schweiz öffnen Städte und Kantone die Türen zu zahlreichen Denkmälern, von mittelalterlichen Burgen bis zu modernen Architekturschätzen. Die präsentierten Projekte dienen nicht nur dem Fortbestand kultureller Stätten, sie fördern auch das Interesse und die Teilhabe der Bevölkerung am Erhalt der Kulturgüter.
Die Schweizer Version der Europäischen Tage des Denkmals zeigt innovative Praktiken auf, die als Modellbeispiele für andere Länder dienen können. Besonders erwähnenswert sind Bildungsangebote, die sich an ein junges Publikum richten und darauf abzielen, die Wertschätzung und den Respekt für das kulturelle Erbe schon früh zu wecken. Mit der Nutzung von digitalen Plattformen, die die Zugänglichkeit und den Einbezug der Nutzer fördern, hat die Schweiz zudem Massstäbe für die Präsentation und die Reichweite von Kulturgütern gesetzt.
Zusammenarbeit mit den Kulturrouten des Europarats
Die Europäischen Tage des Denkmals profitieren von der Zusammenarbeit mit den Kulturrouten des Europarates. Diese Routen und Wege spielen eine entscheidende Rolle für die Pflege gemeinsamer kultureller Werte und staatenübergreifender Kooperationen. Sie zeigen die Vielfalt und die Vernetzung des europäischen Kulturerbes auf und setzen den Schwerpunkt auf Themen wie Geschichte, Kunst, Landschaft und Erinnerung. Die Zusammenarbeit zwischen den Denkmaltagen und den Kulturrouten stärkt grenzübergreifende Initiativen macht das reichhaltige europäische Kulturerbe sichtbarer und verständlicher. Sie fördert den Kulturtourismus und unterstützt darüber hinaus die nachhaltige Entwicklung und das regionenübergreifende Engagement der Gemeinschaften.
Das kulturelle Erbe als Grundstein für die Zukunft
Die Denkmaltage laden alle Menschen ein, Europas reichhaltiges historisches und kulturelles Erbe zu erkunden, und sind damit ein Leuchtturm für kulturelle Demokratie. Die aktive Beteiligung und die innovativen Beiträge der Schweiz sind eine grosse Bereicherung für dieses europaweite Unterfangen, das die Grundwerte des Europarates untermauert. Wenn wir historische Wege, Netzwerke und Verbindungen durchqueren, feiern wir nicht nur die Vergangenheit, sondern wir bereiten auch den Weg dafür, dass künftige Generationen das vielfältige kulturelle Mosaik Europas schätzen, pflegen und aufrechterhalten.