Preisgekröntes Kulturerbe in ganz Europa
Europäischer Preis für Kulturerbe und Europa Nostra Award
Die von Europa Nostra verliehenen Preise für herausragende Leistungen bei der Bewahrung des Kulturerbes stehen auch Teilnehmenden und Projekten aus der Schweiz offen. Sie fördern den Wissensaustausch über Landesgrenzen hinweg und vernetzen die Akteurinnen und Akteure des kulturellen Erbes.
Die Restaurierung des Landsitzes Bois de Chênes in Genolier (VD) gehörte 2020 zu den Gewinnerprojekten des Europa Nostra Awards. «Dieses respektvolle Erhaltungsprojekt verfolgt nicht nur in Bezug auf das Gebäude, sondern auch auf die umliegende Landschaft vorbildliche Ansätze», urteilte die Jury. © Luca Delachaux
Der Europäische Preis für Kulturerbe / Europa Nostra Award wurde 2002 von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen und wird seither von Europa Nostra verliehen. Die Europa Nostra Awards wurden bereits 1978 erstmals von Europa Nostra ausgeschrieben. Sie stehen auch Teilnehmenden und Projekten aus Mitgliedstaaten des Europarats offen, die nicht Teil des EU-Programms Kreatives Europa (siehe Kasten) sind. Seit der Einführung des Preises vor fast fünfzig Jahren hat sich das Programm weiterentwickelt und der sich verändernden Kulturerbepraxis in Europa angepasst. Die Hauptbotschaft und die Zielsetzung des Preises sind jedoch gleich geblieben: Herausragende Leistungen und bewährte Verfahren bei der Bewahrung des kulturellen Erbes sollen aufgezeigt und verbreitet, der Wissensaustausch über Landesgrenzen hinweg gefördert und die Akteurinnen und Akteure des kulturellen Erbes europa- und weltweit vernetzt werden.
Bronzetafeln, Grand Prix und Publikumspreis
Jedes Jahr werden bis zu dreissig Projekte im Bereich des Kulturerbes mit dem Preis ausgezeichnet. Die Teilnehmenden aus allen Teilen Europas können sich für eine von fünf Kategorien bewerben. Alle Preisträger erhalten eine Bronzetafel, die sie an einem gut sichtbaren Ort präsentieren können. Unter den Preisträgern werden die Gewinner des mit einem Preisgeld dotierten Grand Prix ausgewählt. Ebenfalls ein Preisgeld erhält der Gewinner des Publikumspreises, der in einer Online-Abstimmung ermittelt wird.
Seit 2002 wurden 644 Siegerprojekte aus 34 Ländern von einer Expertenjury ausgezeichnet. Alle Beiträge für den Europäischen Preis für Kulturerbe / Europa Nostra Award werden von einem Auswahlgremium und einer Preisjury, die sich aus Kulturerbe-Expertinnen und -Experten zusammensetzen, sorgfältig bewertet und ausgezeichnet. Die Jurymitglieder stellen ihr Fachwissen und ihre Zeit ehrenamtlich zur Verfügung. Sie kommen aus allen Teilen Europas und bilden einen grossen Wissens- und Know-how-Pool aus unterschiedlichen Fachbereichen wie Archäologie, Architektur, Denkmalpflege, Dokumentationswissenschaft, Bildungswesen, Ingenieurwesen, immaterielles Kulturerbe, Materialwissenschaft oder Museumspflege. Der interdisziplinäre Ansatz stellt eine ganzheitliche Evaluation der Beiträge sicher.
Zu den Gewinnern des Jahres 2024 in der Kategorie «Konservierung und angepasste Umnutzung» gehört das sanierte Royale-Belge-Bürogebäude aus den 1960er-Jahren in Brüssel. © Stijn Bollaert
Kulturerbe pflegen und in Wert setzen
Die Preise fördern einen sorgfältigen Umgang der europäischen Bevölkerung mit ihrem gemeinsamen Erbe. Sie sind ein wichtiges Instrument, um den grossen Wert des Kultur- und Naturerbes für die Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt sichtbar zu machen.
Die Preisträger profitieren von vielen Vorteilen wie der Steigerung ihrer (inter-)nationalen Bekanntheit und der Besucherzahlen sowie möglichen Anschlussfinanzierungen. Nicht nur der renommierte Preis selbst ist für die Gewinner wertvoll, noch wichtiger ist für viele die Gelegenheit zur Vernetzung und die sich daraus ergebenden Finanzierungs- und Projektmöglichkeiten.
Preisverleihung in Bukarest
Am 30. Mai 2024 wurden die Gewinner des diesjährigen Europäischen Preises für Kulturerbe / Europa Nostra Award gekürt. Die feierliche Preisverleihung findet jeweils während des European Cultural Heritage Summit, des Gipfeltreffens zum europäischen Kulturerbe, statt, das jedes Jahr in einer anderen europäischen Stadt zu Gast ist. 2024 findet die Preisverleihung, die von der Europäischen Kommission unterstützt wird, am 7. Oktober im Athenäum in der rumänischen Hauptstadt Bukarest statt. Im Rahmen einer viel beachteten Feier, an der hochrangige Vertreter Europas und des Gastlandes anwesend sind, werden die Gewinner des Grand Prix und des Publikumspreises bekannt gegeben.
Ausgezeichnete Schweizer Projekte
Seit 2002 wurden insgesamt acht bemerkenswerte Projekte aus der Schweiz mit dem Europa Nostra Award ausgezeichnet. Die Schweizer Siegerprojekte der letzten fünf Jahre sind nachfolgend beschrieben.
Die qualitativ hochstehende Restaurierung des Landsitzes Bois de Chênes wurde 2020 in der Kategorie «Conservation / Erhalt» ausgezeichnet. Der Bois de Chênes in Genolier (VD) ist eine schützenswerte Landschaft und ein Naturdenkmal. Im Wald steht ein Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert. Die restaurierten Gebäude werden heute als Besucher- und Informationszentrum mit Seminar- und Schulungsräumen genutzt. Das Projekt hat die Verbundenheit der lokalen Bevölkerung mit dem Baudenkmal verstärkt und die Besucherzahl gesteigert.
Bei der Restaurierung wurden möglichst nachhaltige Technologien und ein besonders innovatives Abwasserklärsystem eingesetzt. Da sich die Gebäude aufgrund ihrer Nähe zu Quellen der Gemeinde Genolier in einem Grundwasserschutzareal befinden, wurde ein System mit organischen Filtern, biologischer Abwasserbehandlung und einem Verdampfer gebaut. Dieses System ist ein Pilotprojekt für die Region und soll als starkes Beispiel für Denkmalschutz-Fachleute in ganz Europa dienen.
Der Jury gefielen besonders die klimarelevanten Überlegungen im Projekt: «Dieses respektvolle Erhaltungsprojekt verfolgt nicht nur in Bezug auf das Gebäude, sondern auch auf die umliegende Landschaft vorbildliche Ansätze. Die umgesetzten Lösungen schonen die Umwelt und die Ressourcen durch den Einsatz lokaler Baustoffe, die Installation von Solarpanels und ein Abwasserreinigungssystem, das auf traditionellen, natürlichen Methoden beruht.»
Der Europa Nostra Award ehrte im Jahr 2020 auch die Société de Lecture für ihre Bibliothek und die vielfältigen Aktivitäten in ihrer Villa aus dem 18. Jahrhundert in Genf. © Rebecca Bowring
Ebenfalls im Jahr 2020 wurde in der Kategorie «Dedicated Services / Herausragende Leistungen» die Genfer Lesegesellschaft «Société de Lecture» ausgezeichnet. Diese bemerkenswerte Organisation bietet ihren Mitgliedern eine einzigartige und vielfältige Bibliothek und eine grosse Palette an Aktivitäten für alle Altersgruppen. Der Sitz der Société de Lecture befindet sich in einer Villa aus dem 18. Jahrhundert. Das Gebäude, ein schönes Beispiel für die Genfer Architektur jener Zeit, wird von der Fondation Société de Lecture unterhalten.
Die Société de Lecture ist zu einem europaweit bekannten Kulturzentrum geworden. Sie bietet Konferenzen und Seminare mit Referentinnen und Referenten aus Europa und der ganzen Welt an und organisiert Literatur-Workshops. Ein weiterer wichtiger Teil des Programms sind Schachkurse und Storytelling- und andere Aktivitäten für Kinder. Die Société de Lecture ist auch regelmässig Gastgeberin für Veranstaltungen der Europäischen Tage des Denkmals sowie verschiedener lokaler Events wie der Fête de la Musique.
«Die Aktivitäten der Société de Lecture zeugen von einem Geist der Offenheit und von Innovationswillen und sind ein Beleg dafür, dass die Stiftung diese Qualitäten in ihrem Haus weiter fördert. Der Beitrag, den die Société de Lecture zur Förderung und Verbreitung kultureller Werte in all ihren Formen leistet, wird als ein besonderes Beispiel für die Schweizer Mehrsprachigkeit anerkannt und ist auch auf breiterer europäischer Ebene von Relevanz», so die Jury.
Léonard Gianaddas Engagement für das Kulturerbe wurde 2019 mit dem Europa Nostra Award ausgezeichnet. Der Walliser hatte eine Stiftung gegründet und vier Museen geschaffen. © The Pierre Gianadda Foundation
Von der Gründung der Fondation Pierre Gianadda 1978 in Martigny (VS) an, war Léonard Gianadda die treibende Kraft hinter den vielfältigen Aktivitäten dieser Kulturstiftung. Sein herausragendes Engagement für das Kulturerbe wurde 2019 mit dem Europa Nostra Award ausgezeichnet. Vierzig Jahre lang war Gianadda wesentlich an der Organisation der Stiftungsaktivitäten beteiligt. Die Stiftung beherbergt eine grosse Sammlung an lokalen gallo-römischen Ausgrabungen, ein Oldtimer-Museum und einen modernen Skulpturenpark. Gianaddas Engagement für das Kulturerbe trug entscheidend dazu bei, dass sein Geburtsort zu einem weltbekannten Kulturzentrum wurde.
Die Jury würdigte Gianadda mit den folgenden Worten für seinen lebenslangen Einsatz für das Kulturerbe und die Philanthropie: «Durch die von ihm gegründete Stiftung hat Léonard Gianadda vier Museen geschaffen und gestaltet. Seit der Eröffnung im Jahr 1978 haben mehr als zehn Millionen Menschen die Museen besucht. Gianadda hat das kulturelle Erbe seiner Region bewahrt und Kunstausstellungen sowie klassische Konzerte auf Weltniveau organisiert.»
Kreatives Europa
Kreatives Europa ist ein EU-Programm zur Unterstützung des Kultur- und Kreativsektors. Das Ziel ist, den Beitrag dieses Sektors zur europäischen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt zu fördern. Mit einem Budget von 2,4 Milliarden Euro für 2021 bis 2027 unterstützt das Programm Organisationen in den Bereichen Kulturerbe, darstellende, bildende und interdisziplinäre Kunst, Verlagswesen, Film, Fernsehen, Musik und Videospiele sowie Zehntausende Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaffende und Fachleute aus dem audiovisuellen Bereich.
Die Preisträger im Überblick
Sämtliche Preisträger seit 2002 sind auf der Website des Europäischen Preises für Kulturerbe aufgeführt:
europeanheritageawards.eu
Zudem ist ein umfassenderes Archiv verfügbar, das bis zu den Anfängen des Europa Nostra Award im Jahr 1978 zurückreicht:
europeanheritageawards-archive.eu
Das Archiv des Europäischen Preises für Kulturerbe / Europa Nostra Award befindet sich an der Donau-Universität Krems in Österreich.
